Avicularia aurantiaca BAUER, 1996

Eine verkannte Vogelspinne aus Nord-Peru
Avicularia aurantiaca spec. n.
(Araneida: Theraphosidae: Aviculariinae)

Stefan Bauer, 1996

Abstract

The species up to now named Avicularia magdalenae (KARSCH, 1879) is an undescribed one. Both sexes differ in their markings. In the female the spermathecae consists of two thickly and long tubes. In the male the embolus is bentapically only (similar to Avicularia bicegoi MELLO-LEITAO, 1923).

Keywords:

Peru, Avicularia magdalenae, Avicularia aurantiaca, Avicularia urticans, Avicularia bicegoi

Einleitung

Anfang der 90er Jahre brachte der Engländer Ian WALLACE eine bis dato unbekannte Avicularia-Art aus Nord-Peru in den Handel. Sie wurde als Avicularia magdalenae bezeichnet, da sie mit einer aus Kolumbien beschriebenen Species für identisch gehalten wurde. Neuerdings wird sie von einigen Autoren (Rick WEST, R.N. BAXTER 1993) Avicularia juruensis MELLO-LEITAO, 1923 genannt.
Die Übersetzung der Beschreibung von MELLO-LEITAO, 1923 durch Frau LUCAS vom Instituto Butantan sowie die beiden Zeichnungen ergaben, daß die Art nicht mit der aus Nord-Peru identisch ist, obwohl der Fundort geographisch übereinstimmt.
Nach Untersuchungen des Holotyps (Museum für Naturkunde, Berlin) durch SCHMIDT steht fest, daß es sich bei der Kolumbien-Art nicht um eine Avicularia, sondern um eine Ischnocoline handelt (SCHMIDT, 1994, 1995). Die peruanische angebliche Avicularia magdalenae mußte daher umbenannt werden.
Avicularia magdalenae sensu (SIMON) ist ein Synonym von Hapalopus formosus AUSSERER, 1875 (SCHMIDT 1994).

Material und Methoden

1 Weibchen (Holotyp), Nachzucht von Tieren, die WALLACE in Nord-Peru gesammelt hat, Exuvie eines Weibchens, 1 Männchen (Paratyp).

Das Weibchen wird nach seinem Tod im Senckenberg-Museum (Frankfurt/Main) hinterlegt. Die Tiere wurden in 70% Alkohol aufbewahrt. Die Spermathek wurde aus der Exuvie herauspräpariert und auf einem Objektträger fixiert. Die Augenmaße und -abstände wurden mit Hilfe des Meßokulars des Stereomikroskopes bestimmt.

Derivato nominis:

Bei Avicularia aurantiaca handelt es sich um eine große Avicularia-Art mit sehr unangenehmen und reichlich auf dem Opisthosoma und den Spinnwarzen vorhandenen Reizhaaren. Beim Männchen ist der Embolus apikal nur schwach gebogen.

Ergebnisse

Avicularia aurantiaca spec. n.

Beschreibung:


Weibchen:

Körperlänge (Weibchen geschlechtsreif, aber nicht vollkommen ausgewachsen) 49 mm, Carapax 19 x 17 mm, Opisthosoma 25 x 15 mm

Gliedmaßen (aufgelistet nach der Länge):

IV, I, II, III

Gliedmaßen in mm:

Tabelle 1

Scopula der Tarsen: voll scopuliert. Scopula der Metatarsen: Bein I 3/4 scopuliert, Bein II 2/3, Bein III 1/2 und Bein IV 1/4 scopuliert. Die Scopula ist bei allen Tarsen und Metatarsen geteilt. Eine Bestachelung an den Beinen ist nicht zu erkennen.

Das Labium ist breiter als lang, das Sternum mißt 7 x5 mm. Ein großes Paar Sigillen kann man gegenüber dem 4. Beinpaar erkennen. Die Bezahnung, vom Klauengelenk aus betrachtet, sieht folgendermaßen aus: 3 gr., 1 kl., 1 gr., 1 kl., 1 gr., 1 kl., 2 gr., 1 kl., 1 gr., auf der Höhe der beiden letzten aufgezählten Zähne befindet sich ein Feld aus insgesamt 11 kleinen Zähnchen. Die Chelizerenklauen haben eine Länge von 8,3 mm, das Basalglied mißt 10 x 5,5 mm. Spinnwarzen: Basalglied 3,5 mm, Mittelglied 2,3 mm und Endglied 3,8 mm lang.
Augenhügel: Breite 3,6 mm, Länge 2,2 mm, stark nach oben gewölbt. Augengröße: VMA 0,8 mm, VSA 0,8 mm, HMA 0,5 mm, HSA 0.7 mm. Augenabstände: VMA-VMA 0,6 mm, VMA-VSA 0,4 mm, VMA-HMA 0,3 mm, VSA-HMA 0,7 mm, HMA-HSA 0,11 mm, VSA-HSA 0,5 mm.

Färbung und Zeichnung

Dorsalansicht: Carapax mit bräunlicher Behaarung, die von der Thoraxgrube zum Rand hin Streifen bildet. Bei frisch gehäuteten Tieren schimmern die Femora im Tageslicht blau-violett, ansonsten ist die Grundfärbung der Gliedmaßen ein dunkles Haselnußbraun. Sehr auffällig sind bei diesen Tieren die leuchtend orange-gelben Beinringe am Ansatz des Metatarsus, erkennbar an allen Beinen. Die Behaarung an den Beinen ist sehr lang und dicht, je nach Betrachtungswinkel erscheinen sie lachsrot bis beige. Das Opisthosoma ist samtig schwarz, mit sehr langen auffälligen hellen Haaren. Ein schwarzer Fleck aus Brennhaaren im hinteren Teil bleibt auch im Alter erhalten. Ventralansicht: Die gesamte Unterseite ist schwarz, an den Beinen erkennt man ebenfalls eine lange, helle Behaarung, die aber nicht so dicht wie auf der Dorsalseite ist.

Männchen:

Der Carapax ist 19,3 mm lang und 17,2 mm breit, das Opisthosoma mißt 22 mm in der Länge und 17 mm in der Breite (Anmerkung: das Opisthosoma ist stark eingefallen, die Originalgröße konnte deshalb nicht exakt ermittelt werden). Das Sternum ist länger als breit, 7 x 5,5 mm. Die Chelizerenklauen sind 7,5 mm lang, das Basalglied 5,5 mm lang und 6,8 mm breit. Spinnwarzen: Basalglied 3,1 mm, Mittelglied 1,8 mm, Endglied 3,3 mm lang.

Gliedmaßen (nach Länge aufgelistet):

IV, I, II, III.

Gliedmaßen in mm:

Tabelle 2

Scopulation der Tarsen und Metatarsen wie beim Weibchen.

Färbung und Zeichnung

Bis zur Reifehäutung unterscheiden sich die Männchen in der Färbung und Zeichnung nicht von den Weibchen. Nach der Reifehäutung sind die Männchen nur noch einfarbig dunkelbraun, die orange-gelben Beinstreifen sind jetzt so gut wie nicht mehr zu erkennen.

Diskussion

Die beschriebene Art gehört zusammen mit Avicularia urticans SCHMIDT, 1994 in die Gruppe A nach SIMON, d.h. zu den Arten, bei denen die Streifenzeichnung auf dem Opisthosoma, die sogenannte Jugendzeichnung, mit zunehmendem Alter verschwindet. Genitalmorphologisch handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe, ein direkter Vergleich zu einer Art der Gruppe A kann nicht nachvollzogen werden. Weitere Untersuchungen und Artbestimmungen in der Gruppe A sind notwendig, um die Stellung der einzelnen Arten im System klären zu können.
Der Embolus von Avicularia aurantiaca sp. n. ähnelt dem von Avicularia bicegoi MELLO-LEITAO, 1923.
Allerdings ist die apikale Krümmung nicht so stark wie bei dieser Art. Charakteristisch ist die Spermathek mit ihrem breiten Basalteil. Doch sind die Tuben insgesamt nicht so breit wie bei Avicularia huriana TESMOINGT, 1996 aus Ecuador. (Leider liegt mir die Arbeit von TESMOINGT von Avicularia huriana nicht vor, daher nur dieser Hinweis.)

Aus Peru bzw. aus dem Fanggebiet von Avicularia aurantiaca sp. n. sind zwei weitere Avicularia-Arten bekannt geworden. Neben der jetzt als Avicularia aurantiaca sp.n. beschriebenen findet sich dort noch Avicularia juruensis MELLO-LEITAO, 1923 und die von SCHMIDT, 1994 beschriebene Avicularia urticans. WEST (pers. Mitt. vom 28.10.1994 an SCHMIDT) studierte diese Art von Iquitos und Napo. Sie gehören zur Gruppe A nach SIMON.

Danksagung

Herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Dr. Günter SCHMIDT, Deutsch Evern, für die von ihm durchgeführten Untersuchungen am Typus von Tychochlaena magdalena, sowie vielen Tips, die mir bei der Beschreibung der Art wesentlich geholfen haben, Herrn R.H. KRAUSE für die Zeichnungen Abb. 3 und Abb. 4.
Ebenso bedanken möchte ich mich bei Herrn Dr. GRASSHOFF vom Senckenberg-Museum Frankfurt/Main und Herrn Dr. MORITZ vom Museum für Naturkunde in Berlin für ihre Beratung in nomenklatorischen Fragen (Mitt. an Dr. SCHMIDT).

Zusammenfassung

Die neu beschriebene Art Avicularia aurantiaca gehört zur Gruppe A nach SIMON, bei der die Zeichnung auf dem Opisthosoma mit zunehmendem Alter verschwindet. Die Spermathek besteht aus zwei dicken und langen Tuben. Der Embolus ist nur apikal gekrümmt (ähnlich Avicularia bicegoi MELLO-LEITAO, 1923). Es bestehen nähere Beziehungen zu Avicularia urticans SCHMIDT, 1994.

Literatur

AUSSERER, A. (1875): Zweiter Beitrag zur Kenntnis der Arachnidenfamilie der Territelariae.-Verh. Zool. Bot. Ges. Wien 25: 174 T.V.F. 17, 18
BAXTERN, R.N. (1993): Keeping and Breeding Tarantulas.-Chudleigh Publishing, Ilford, Essex, 89 pp.
CHARPENTIER, Ph. (1992): The Genus Avicularia.-Exothermae - Vol. 1, No. 1
KARSCH, E. (1879): Sieben neue Arachniden von St. Martha.-Stettin. Ent. Zeitg. 40: 106-109
MELLO-LEITAO, M.D. (1923): Theraphosidas do Brasil.-Rev. Mus. Paulista 13. p. 1-438 TF. 1-109
POCOCK, R.I. (1903): On some new gen. a. spec. of South American Aviculariidae.-Ann. Mag. Nat. Hist. (7) 11:81-115
ROEWER, C. FR. (1942): Katalog der Araneae.-1. Band, Natura, Bremen, 1040 pp.
SCHMIDT, G. (1994): Vogelspinnen - 4. Aufl., Landbuch, Hannover 151 pp.
SCHMIDT, G. (1994): Einige überraschende Befunde. - Arachnida 2 (9): 4-5
SCHMIDT, G. (1995): Ist Typhlochlaena magdalena KARSCH, 1879 wirklich eine Avicularia? - Arachnol. Mag. 3 (2) 1995: 10-13
SCHMIDT, G. (1994): Avicularia urticans, eine Vogelspinnenart aus Peru - Arachnol. Mag. 2 (6): 1-7
SIMON, E. (1892): Histoire Naturelle d. Araignees. - 2. Aufl., Roret, Paris, 1-254

Autor:

Stefan BAUER, Robert-Koch-Str. 4, 77955 Ettenheim

Quelle: Arachnologisches Magazin 8/1996



Tabellen


Tabelle 1:
  Femur Patella Tibia Metatarsus Tarsus Gesamtlänge
Taster 12 4 6 - 10 32
Bein I 16 5 13 10 9 53
Bein II 15 5 12 8 8 48
Bein III 15 5 11 9 8 48
Bein IV 18 6 15 12 8 59

Tabelle 2:

  Femur Patella Tibia Metatarsus Tarsus Gesamtlänge
Taster 11 6 8 - 3 28
Bein I 18 9 14 15 9 65
Bein II 17 8,5 13 12,5 9,5 60,5
Bein III 15 9 12 13,5 9,5 59
Bein IV 20 9,5 17 18,5 9,5 74,5