Brachypelma boehmei SCHMIDT, KLAAS, 1993

Brachypelma boehmei sp. n., 1993

Günter Schmidt/Peter Klaas

Eine neue Brachypelma-Spezies aus Mexiko
(Araneida: Theraphosidae: Theraphosinae)

Einleitung

Am 01.07.91 erhielt G. Schmidt von P. Klaas ein Paket mit mittel- und südamerikanischen Spinnen (in Alkohol konserviertes Material) und Exuvien, in dem sich auch 2 Männchen von unbekannten Brachypelma-Arten befanden. Zur Frage der Gattungsbenennung vergleiche Schmidt (1991/1992) und Fritzlen (1991). Das Genus ist durch den distal breiten und flachen bzw. löffelförmigen Embolus, die zweiteilige Tibia-Apophyse mit nach innen eingebogenem großen Fortsatz, die breite einteilige Spermathek, die in der Mitte eingedellt sein kann und das Fehlen einer Scopula rl an Femur IV gekennzeichnet. Von der nächstverwandten Gattung Megaphobema unterscheidet es sich durch das Fehlen eines kleinen Fortsatzes an der Spitze des größeren Astes der Tibia-Apophyse und die in der Mitte oft eingedellte Spermathek. Ist die Spermathek nicht eingedellt, so bildet sie meist einen völlig gleichmäßigen Rundbogen (z.B. bei B. auratum). Weder die Scopula an Metatarsus IV noch die Scopula aus Fiederhaaren an den Trochanteren und Femora der Taster und des 1. Beinpaares kann als Gattungskonstant gelten. Man findet in beiden Gattungen Arten mit und ohne Metatarsalscopula. Eine Scopula aus Fiederhaaren ist ebenfalls nicht bei allen Arten der Gattung Brachypelma an den Trochanteren der Taster und des 1. Beinpaares in beiden Geschlechtern ausgebildet. In seiner Gattungsdiagnose von 1892 weist Simon darauf hin, daß das Sternum bei Brachypelma so lang wie breit sei. Das gilt auch für Megaphobema robusta, jedoch nicht für M. mesomelas. Insofern war Simon (1903) auch logisch, als er in seine neue Gruppe von Eurypelma-Arten zwar B. emilia, vagans und smithi, nicht aber B. mesomelas einordnete. Er war nämlich der Ansicht, daß Brachypelma damals nicht ausreichend charakterisiert sei und vereinigte es wieder mit Eurypelma. Als Typ betrachtete er Eurypelma rubropilosum Ausserer, 1871 aus Brasilien. Ausserer hatte 1871 diese Spezies beschrieben, die er für identisch mit Mygale avicularia C. Koch, 1842, Figur 737, hielt. Pocock (1903) erwähnte in seiner Diagnose des Genus Brachypelma die langen Haare an Coxa I pl, von denen etliche oder alle verdickte dornenförmige Basen haben. Aber derartige Haare finden sich dort auch bei Megaphobema. Nach Raven (1985) sollen große Fiederhaare an Trochanter I bei Euathlus (=Brachypelma) fehlen. Das trifft auf die Weibchen der von mir untersuchten Brachypelmaarten nicht zu. Wahrscheinlich meint Raven typische Stridulationsborsten, wie man sie bei Lasiodora, Theraphosa, Phormictopus, Citharacanthus, Pseudotheraphosa, Acanthoscurria, Grammostola und Cyrthopholis antrifft. Er hätte jedoch deutlich zwischen Stridulationsborsten und Fiederhaaren unterscheiden sollen. Es gibt Brachypelma-Arten, die mit ihren Fiederhaaren stridulieren können, worauf Klaas (1989) bereits hinwies. Solche Fiederhaare trifft man auch bei Männchen an. Man sollte hier jedoch nicht von einer Scopula sprechen, wie bei Pocock zu lesen. Je mehr Brachypelma-Spezies bekannt werden, um so schwieriger wird es, diese Gattung von Megaphobema zu unterscheiden, was auch die Beschreibung der folgenden Spezies zeigt.

Brachypelma boehmei sp. n.


Material:

1 Weibchen (Holotyp), 1 Männchen (Paratyp, leg. Böhme Dezember 90). Das Material wird dem Senckenbergmuseum zur Verfügung gestellt.

Fundort:

Mexiko

Diagnose:

Mittelgroße Art der B.-smithi-Gruppe mit auffälliger Beinfärbung. Femora der Taster und Beine schwarz, Tarsen braunschwarz, Scopula der Tarsen und Metatarsen schwarz. Im Hinblick auf die Färbung der Beine besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit Megaphobema mesomelas und M. robusta. Embolus distal verbreitert, zugespitzt kellenförmig endend.

Derivatio nominis:

Zu Ehren des Sammlers und Erstimporteurs, Herrn K. Böhme.

Beschreibung:


Männchen:


Körperlänge: 51 mm, Carapax: 24 x 23 mm, Abdomen: 27 x maximal 18 mm.

Beinformel:

IV, I, II, III.

Länge der Gliedmaßen (mm):

Tabelle 1

Relationen:

Carapax kürzer als Patella + Tibia I, Patella + Tibia IV und Metatarsus + Tarsus IV. Patella + Tibia I und IV gleich lang. Patella + Tibia IV kürzer als Metatarsus + Tarsus IV, länger als Metatarsus + Tarsus I, II und III.

Bestachelung:

Taster: Ti pv (proventral) 1-1, rv (retroventral) 1. I: Ti pl 1, rl a 1. II: Ti pl 1-1, v 1-1-3, Met v a 2, III: Ti v 1-2-2, Met pl 1-1-1, v 2-2-2, rl 1-1-1-2. IV: Ti pl a 1, v a 3, pv m 1, Met v 3-3-3-1-2-3. Die Stacheln sind wegen der langen und dichten Behaarung sehr schwer erkennbar.

Scopula:

Alle Tarsen und die Metatarsen I und II voll, Metatarsus III 3/4 und Metatarsus IV 1/2 scopuliert. Scopula schwarz, daher gut erkennbar.

Clypeus:

Schmaler als Länge des Mittelaugentrapezes.

Augenhügel:

Mäßig hoch, bildet oben ein Plateau, breiter als lang. Vorderaugenreihe stark procurv, Hinteraugenreihe leicht recurv. VMA etwa um die Hälfte kleiner als VSA. Diese etwas größer als HSA, HMA etwas kleiner als VMA, fast um die Hälfte kleiner als HSA. VMA-VMA fast doppelt so weit wie VMA-HSA. VSA-HSA etwa so weit wie der Durchmesser eines VSA beträgt. VMA-HMA etwa so weit wie VMA-VSA. HMA-HSA etwa um die Hälfte näher als VMA-VSA.

Sternum:

11 x 9 mm. 3 Sternalsigillenpaare sichtbar, von denen die beiden hinteren weit vom Sternumrand entfernt stehen.

Labium:

fast quadratisch, etwas länger als breit, apikal mit etwa 7 Reihen von Dörnchenhöckern.

Chelizeren:

Mit 12 Zähnen, von denen die beiden ersten, vom Klauengelenk angerechnet, sehr klein, die folgenden 3 am größten sind. Dann folgen 3 mittelgroße Zähne, daraufhin 4 kleinere, deren letztem 1 größerer gegenübersteht, gefolgt von einem großen Zahn.

Thoraxgrube:

Transversal, breiter als der Augenhügel.

Spinnwarzen:

Hintere Spinnwarzen 9 mm lang. Basisglied 3 mm, Endglied 4 mm.

Bulbus:

6 mm lang. Rechter Bulbus von ventral betrachtet birnenförmig, am Ansatz des breiten Embolus etwas verschmälert, dann wieder verdickt. Embolus breit kellenförmig, distal zugespitzt, um 90° nach links gedreht endend (Abb. 1).

Tibia-Apophysen:

2-sporig, wie für das Genus typisch. Die rentroventrale trägt keinen Fortsatz und ist apikal breit abgestutzt.

Fiederhaare:

An Palpenfemur und Trochanter rl und an Femur und Trochanter I pl, einige auch an Coxa I pl. Diese z.T. recht dicht stehenden kräftigen Fiederhaare sind zum Stridulieren geeignet.

Färbung und Zeichnung:

Carapax mit kurzen roten Haaren dicht besetzt, daher fuchsrot erscheinend, Abdomen: Ober- und Unterseite schwarz, dorsal mit einzelnen langen fuchsroten Haaren. Femora der Taster und Beine schwarz, Tarsen braunschwarz, Patellen bis Metatarsen dorsal hell fuchsrot. Scopula an Metatarsen und Tarsen schwarz, Sternum, Labium, Maxillen, Coxen und Trochanteren (ventral) schwarz. Chelizeren schwarz mit rötlichen Haaren, Patellen ventral mit schwarzem Keil. Patellen der Taster sowie Patellen und Tibien der Beine mit den für Brachypelma typischen 2 Längsstreifen, die fuchsrot gefärbt sind. Metatarsen der Beine mit einem mittleren rötlichen Längsstreifen im basalen Drittel. Alle Femora bis Metatarsen dicht und lang behaart.

Weibchen (Exuvie des Holotyps):


Carapax:

25 x 24 mm, Abdomen: nicht exakt meßbar

Beinformel:

IV, I, II, III

Gliedmaßen (mm):

Tabelle 2

Scopula:

Alle Tarsen und die Metatarsen I und II vollständig, Metatarsus III 2/3, Metatarsus IV 1/2 scopuliert.

Augenhügel:

höher als höchster Punkt des Carapax.

Sternum:

9 x 7 mm, hinten breit abgestutzt. Nur 2 hintere Sternalsigillen deutlich erkennbar, schräg oval, entsprechend ihrer Länge vom Sternumrand entfernt.

Labium:

breiter als lang. Apikales 1/3 mit etwa 5-6 Reihen von Dörnchenhöckern.

Chelizeren:

Grundglied 14 mm, Klaue 9 mm (Spitzen ab Mündung des Giftkanales abgebrochen). Mit 8 großen und nach dem 6. Zahn zwei kleinen querstehenden Zähnen. Nach dem 7. großen Zahn beginnt eine Gruppe kleinerer Zähnchen in mehreren Reihen, die sich über den 8. Zahn hinaus nach hinten erstreckt.

Thoraxgrube:

wie beim Männchen.

Spinnwarzen:

Hintere Spinnwarzen 10 mm. Basal- und Endglied etwa gleich lang.

Fiederhaare:

Am Palpenfemur und -trochanter rl, an F I und Trochanter I pl, z.T. recht dicht stehend, zum Stridulieren geeignet.

Spermathek:

Ähnlich wie bei B. angusta (Abb. 2).

Färbung:

wie Männchen. Metatarsen lateral schwarz durch Ausläufer der Scopula.

Diskussion:

Abgesehen vom roten Carapax und den langen Haaren sieht die neue Art auf den ersten Blick wie eine Megaphobema mesomelas aus. Sie unterscheidet sich jedoch u.a. durch das Sternum, das fast so breit wie lang ist. Weitere Ähnlichkeiten mit Megaphobema bestehen abgesehen von der Form der Bulbi und Emboli auch im Hinblick auf eine hier schon angedeutete Verbreiterung des Femur III, der ca. 1 mm dicker als F IV ist. Der Carapax ist allerdings nur wenig länger als breit. Dies, die Form der Spermathek und das Fehlen eines Fortsatzes auf dem größeren Ast der Tibiaapophyse in Verbindung mit den Fiederhaaren an Trochanteren und Femora der Taster und des 1. Beinpaares weisen die neue Art eindeutig in die Gattung Brachypelma. Außerdem hat die Spezies keinerlei Andeutung einer Scopula an F IV rl. Der Embolus weist lateral eine tiefere Einbuchtung als der von B. albopilosum auf. Die Art steht, was ihre Körperfarbe und -zeichnung betrifft, isoliert in der Gattung Brachypelma und deutet auch in dieser Beziehung auf die nahe Verwandtschaft der Gattungen Brachypelma und Megaphobema hin.

Lebensweise:

Von Klaas konnten 5 Weibchen und mehrere adulte und subadulte Männchen lokalisiert werden. Während die kleinen subadulten, s.a., Männchen in Geröllhalden zwischen Steinen leben, vagabundieren die adulten Männchen. S.a. Männchen im letzten Stadium vor der Reifehäutung konnten wie die adulten Weibchen zwischen großen Felsbrocken beim Putzen beobachtet werden. 2 Weibchen wurden im Juli 1991 bis zu 3 m von ihrem Unterschlupf entfernt gesehen. Feuchte Witterung, dadurch bedingter Pflanzenwuchs und entsprechendes Insektenleben erlaubten es Klaas, die Tiere über 2 Tage in freier Wildbahn zu beobachten. Dabei zeigte sich, daß die Beute normalerweise aus Kleinstinsekten besteht, die von Bäumen herabfallen. Auch kleine Blätter, die in unmittelbarer Nähe (bis zu ca. 20 cm) der Spinnen zu Boden fallen, werden bemerkt, sehr schnell erbeutet und dann wieder losgelassen. Beutetiere werden eingesponnen. Dies dient dazu, die vielen Kleinstinsekten zu fixieren, um so ungestört weiter einfangen zu können. Das Beutespektrum enthält Bären- und Spannerraupen und schwarze Käfer (Tenebrionidae). Der Kot der Spinnen ist im Gegensatz zu dem bei Terrarienhaltung wegen der Käfernahrung dunkelbraun bis schwarz. Die Fluchtdistanz zum Menschen war mit 1,50 m erstaunlich gering. Ein großes altes Weibchen lebte in einer typischen selbstgegrabenene Röhre in Hanglage und konnte trotz lockeren Bodens nicht ausgegraben werden, da die Röhrenlänge mindestens 2 m betrug. Ein kleineres Weibchen wurde in einem auf dem Boden liegenden Aststück gefunden. Im Februar 1992 konnte aufgrund großer Trockenheit kein adultes Tier gefunden werden.

Zusammenfassung:

Es wird eine neue Art der Gattung Brachypelma beschrieben, die sich durch ihre auffällige Körperzeichnung und die Form des männlichen Tasters von anderen Arten der Gattung unterscheidet. Auf die Ähnlichkeit mit Vertretern der Gattung Megaphobema wird hingewiesen.

Summary:

A new species of Brachypelma, B. boehmei, is described. It differs from all other species of this genus by its conspicuous red and black body-markings and the shape of the palp. It is pointed to the similarity to members of the genus Megaphobema.

Abbildungsverzeichnis:

1) Brachypelma boehmei, rechter Bulbus ventral
2) Brachypelma boehmei, Spermathek (Klaas)

Danksagung

Wir danken Herrn H. Krause für die Anfertigung der Zeichnung.

Literatur:

Ausserer, A. (1871): Beiträge zur Kenntnis der Arachniden-Familie der Territelariae Thorell (Mygalidae Autor). - Verh. k.k. Zool.-Bot. Ges. Wien 21: 177-244. (p. 213/214)
Fritzlen, F. (1991): Brachypelma contra Euathlus (Aranae, Mygalomorphae, Theraphosidae). Kritische Anmerkung zu Raven's Revision der Mygalomorphae.- Arachnol. Anz. 19/91: 14-17.
Klaas, P. (1989): Vogelspinnen im Terrarium, Ulmer, Stuttgart, 148 pp. (p.93).
Pocock, R. (1903): On some Genera and Species of South-American Aviculariidae.- Ann. Mag. Nat. Hist. ser. 7, vol. 11: 81-115 (p. 102/103)
Raven, R. (1985): The spider infraorder Mygalomorphae (Araneae): Cladistics and systematics.- Bull. Amer. Mus. Nat. Hist. 182, 1:1-180. P.(120/121).
Schmidt. G. (1992): Brachypelma Simon 1890 oder Euathlus Ausserer 1875? -Arachnol. Anz. 3(1): 9-11
Simon, E. (1892): Histoire naturelle des araignées, 2. Aufl. 1 (1), Roret, Paris, p.1-254. p. (164, 165, 168).
Simon, E. (1903): Histoire naturelle des araignées, 2. Aufl. 2 (4), Roret, Paris, p. 669-1080. p. (934-937).

Autoren:

Dr. Günter Schmidt, Von-Kleist-Weg 4, 21407 Deutsch Evern
Peter Klaas, Feldbergstr. 21, 51105 Köln

Quelle: Arachnologisches Magazin 7/1994



Tabellen


Tabelle 1:
  Femur Patella Tibia Metatarsus Tarsus Gesamtlänge
Taster 12 8 10 - 4 34
Bein I 19 10 15 14 9 67
Bein II 17 9 13 14 9 62
Bein III 16 9 12 14 9 60
Bein IV 18 10 15 19 9 71

Tabelle 2:

  Femur Patella Tibia Metatarsus Tarsus Gesamtlänge
Taster 12 7 10 - 9,5 38,5
Bein I 17 10 14 11 8 60
Bein II 16 10 12 12 8 58
Bein III 14 9 11 13 8 55
Bein IV 19 9 14 17 9 68