Avicularia recifiensis STRUCHEN, BRÄNDLE, 1996

Ronny STRUCHEN & Daniel BRÄNDLE

Eine neue Avicularia-Art aus Pernambuco, Brasilien
Avicularia recifiensis sp. n.
(Araneida: Theraphosidae: Aviculariinae)

Abstract:

A news species of the genus Avicularia is described, from near the town Recife (Pernambuco) in the North-East of Brasil. Males don't have tibia-apophyses, as Avicularia minatrix and Avicularia versicolor, two other species of the genus Avicularia. The spermathecae is similar to Avicularia versicolor.

Key words:

Theraphosidae, Avicularia, Brasil, Recife.

Einleitung:

1993 gelangte eine bisher unbekannte Avicularia-Art erstmals in die Schweiz. Ronny STRUCHEN erwarb ein adultes Zuchtpaar. Beide Tiere sind zwischenzeitlich verstorben und wurden in Isopropylalkohol konserviert. Gesammelt wurden sie nahe der Stadt Recife im Staate Pernambuco (im Nordosten Brasiliens) von dem Hobbyarachnologen Martin WEBER. Aus der Gegend waren bisher nur Avicularia hirsuta (POCOCK, 1901) und Avicularia pulchra (MELLO-LEITAO, 1933) bekannt. Ob dem etwas ungewöhnlichen Körperbau und dem flachen Abdomen erstaunt, wurden sie zunächst nicht als Avicularia erkannt. Erst nachdem uns Herr Dr. Günter SCHMIDT am 18. März 1995 das Spermathek-Präparat übergeben hatte, konnten wir die Art aufgrund der unverwechselbaren Spermathek-Form und mit seiner Hilfe richtig einordnen.

Material:

1 adultes Weibchen (Holotyp) und 1 adultes Männchen (Paratyp) in Isopropylalkohol konserviert, leg. Martin WEBER, 1993, Recife (Brasilien). Das Material wird dem Senckenbergmuseum, Frankfurt/Main, zur Verfügung gestellt.

Methode:

Die Spinnen wurden mit dem Stereomikroskop "Weso" bei 20facher Vergrößerung untersucht.
Augengröße und -abstände wurden mit der Mess-Schablone ermittelt.

Ergebnisse:

Avicularia recifiensis sp. n.

Diagnose:

Species ohne Tibia-Apophysen beim adulten Männchen, wie dies bei Avicularia minatrix (POCOCK, 1903) und Avicularia versicolor (WALCKENAER, 1837) auch der Fall ist. Färbung der Tarsenpolster dorsal bei beiden Geschlechtern hellbeige. Spermathek ähnlich der von Avicularia versicolor.

Beschreibung


Weibchen, nicht ausgewachsen:

Körperlänge 38,0 mm, Carapax 15,0 x 14,9 mm, Opisthosoma 23,0 x 14,4 mm, Chelizerenklaue 4,6 mm, Chelizerengrundglied 7,3 x 3,5 mm.

Beinformel:

IV, I, II, III

Gliedmaßen in mm:

Tabelle 1

Bestachelung:

fehlend

Scopula:

Tabelle 2

Augengrößen:

VMA 0,55 mm, VSA 0,5 mm, HMA 0,2 mm, HSA 0,35 mm. Vorderaugenreihe schwach procurv, Hinteraugenreihe schwach recurv (Abb. 1). Abstand der beiden VMA voneinander: 0,5 mm, VSA-HSA 0,3 mm, HSA-HMA weniger als 0,1 mm, fast einander berührend, VMA-VSA mehr als doppelt so breit wie HSA-HMA, Abstand der beiden HMA voneinander 1,5 mm. Abstand der beiden VMA zum Carapax-Rand größer als Durchmesser eines VMA.

Augenhügel:

1,5 mm (Maß entlang der Körperachse) x 3 mm (Maß quer zur Körperachse).

Chelizerenbezahnung:

ein großer, zwei mittelgroße, vier kleinere, ein mittelgroßer, ein kleiner und ein sehr großer (vom Klauenansatz gerechnet), seitlich vom letzten außerdem acht sehr kleine.

Fovea:

sehr schmal und leich recurv.

Labium:

1,3 mm x 2,0 mm, somit breiter als lang, apikal mit kleinen Dornenhöckern besetzt.

Sternum:

7,0 x 5,6 mm. Sigillen sind, im Gegensatz zum Männchen, nicht erkennbar. Da es sich um ein noch nicht vollständig ausgewachsenes Weibchen handelt, ist es möglich, daß diese noch nicht sichtbar sind. (Anmerkung: Bei Exuvien von Grammostola grossa (AUSSERER, 1871) in diversen Stadien haben wir festgestellt, daß die Sigillen bei kleineren Tieren noch nicht, später ansatzweise und im adulten Stadium vollständig erkennbar sind, sogar mit bloßem Auge).

Spinnwarzen:

nur Basalglied der hinteren Spinnwarze vorhanden; Länge 2,5 mm.

Spermathek:

ähnlich der von Avicularia versicolor (WALCKENAER, 1837) (Abb. 2).

Färbung:

Carapax-Grundfarbe hellbraun mit Orange-Schimmer, Beine hellbraun mit rötlich-brauner Behaarung. Opisthosoma dunkelbraun, die längeren Haare sind leuchtend hellorange gefärbt. Metatarsus des Beinpaares IV mit Behaarung, welche um knapp 1/2 länger ist als bei Metatarsen der anderen Beine. Tarsenpolster nicht rötlich oder orange, wie bei den meisten Arten der Gattung Avicularia, sondern hellbeige.

Männchen, adult:

Körperlänge 33,4 mm, Carapax 16,2 x 13,5 mm, Opisthosoma 17,2 x 13,6 mm, Chelizerenklaue 5,4 mm, Chelizerengrundglied 12,4 x 3,1 mm.

Beinformel:

IV, I, II, III.

Gliedmaßen in mm:

Tabelle 3

Bestachelung:

fehlend.

Scopula:

Tabelle 4

Augengrößen:

VMA 0,6 mm, VSA 0,55, HMA 0,25 mm, HSA 0,5 mm. Vorderaugenreihe stark procurv, Hinteraugenreihe schwach recurv (Abb. 3). Abstand der beiden VMA voneinander: 0,5 mm, VSA-HSA 0,1 mm, HSA-HMA kleiner als 0,1 mm, fast einander berührend, Abstand VMA-HMA 0,2 mm. Abstand VMA vom Carapax-Rand bedeutend größer als Abstand der VSA bis Carapax-Rand. VMA somit nicht auf gleicher; zurückversetzt.

Augenhügel:

2,0 mm (Maß entlang der Körperachse) x 2,8 mm (Maß quer zur Körperachse).

Chelizerenbezahnung:

Drei große (dicht beieinander, 2. am größten), drei mittelgroße.

Spinnwarzen:

nicht mehr vorhanden.

Fovea:

sehr schmal und leicht recurv, aufgrund der zahlreichen Haarwolle mit bloßem Auge nicht sichtbar.

Labium:

1,5 mm x 2,5 mm, somit breiter als lang, apikal mit kleinen Dörnchenhöckern besetzt.

Sternum:

7,6 x 6,1 mm.
Je zwei Sigillen links und rechts, einmal bei 2. Beinpaar und randständig und einmal bei 3. Beinpaar etwas vom Rand entfernt.

Bulbus 2 mm, Embolus 4,5 mm lang (Abb. 4).

Färbung:

Carapax-Grundfarbe hellbraun mit Orange-Schimmer, Beine hellbraun mit rötlich-brauner Behaarung. Opisthosoma dunkelbraun, die längeren Haare sind dunkelrot, fast bordeauxfarben und leuchten um ein vielfaches stärker als beim Weibchen. Metatarsus des Beinpaares IV mit Behaarung, welche um knapp 1/2 länger ist als bei den Metatarsen der anderen Beine.

Diskussion:

Die neue Art hat eine Spermathek, welche derjenigen von Avicularia versicolor sehr ähnlich ist. Der Embolus ist lang, dünn und abgerundet, wie für die Gattung Avicularia typisch. Carapax relativ rund, Abdomen breit und flach. Tibiaapophysen an Beinpaar I sind, wie bei Avicularia minatrix und Avicularia versicolor nicht vorhanden! Dies steht im Gegensatz zu den meisten Avicularia-Arten, bei welchen 1 Apophyse vorhanden ist. Nur Avicularia hirsuta und Avicularia zorodes tragen je 1 Apophyse an Tibia I und II. Letztere beiden werden von Andrew SMITH aufgrund dessen zu Iridopelma gestellt. SCHMIDT (briefl. Mitteilung v. 1.4.95) lehnt diese Gattung jedoch ab. SMITH's Hypothese besagt, daß alle Avicularia-Arten möglicherweise einst Apophysen am 1. und 2. Beinpaar hatten. Später gingen die am 2. Beinpaar verloren und die am 1. Beinpaar darauf bei besagten 3 Arten (inkl. Avicularia recifiensis sp. n).
SCHMIDT meint, daß sich bei Avicularia hirsuta und Avicularia zorodes weitere sogenannte primitive Charaktere finden lassen müßten und bei den Arten ohne Apophysen modernere, falls SMITH mit seiner Hypothese recht hätte. SCHMIDT konnte keinerlei solche Charaktere nachweisen, woraufhin die Gattung Iridopelma abzulehnen war. Entsprechend wäre es auch nicht vertretbar, für Arten ohne Tibia-Apophysen eine eigene Gattung aufzustellen.

Zusammenfassung:

Die neue Avicularia-Art aus Pernambuco (Brasilien) wrid anhand von beiden Geschlechtern beschrieben. Das Männchen besitzt keine Tibiaapophysen, wie dies bei Avicualaria minatrix (POCOCK, 1903) und Avicularia versicolor (WALCKENAER, 1837) auch der Fall ist. Die Spermathek ist derjenigen von Avicularia versicolor sehr ähnlich.

Danksagung:

Wir danken Herrn Dr. Günter SCHMIDT für die Unterstützung, speziell bei der Anfertigung des Spermatheken-Präparates und bei der Durchsicht des Manuskriptes.

Literatur:

CHARPENTIER, P. (1992): The genus Avicularia.- Exothermae I (1): 1-49.
SCHMIDT, G. (1993): Vogelspinnen. Lebensweise, Bestimmungsschlüssel, Haltung, Zucht. Landbuch Verlag, 4. Auflage
SMITH, A. (1995): in litteris an G. Schmidt.

Fotographien:

Daniel Brändle, CH-Felbern

Autoren:

Ronny STRUCHEN, Dössihubelstr. 3, CH-5014 Gretzenbach
Daniel BRÄNDLE, Im Geere 15, CH-8552 Felbern

Quelle: Arachnologisches Magazin 2/1996



Tabellen


Tabelle 1:
  Femur Patella Tibia Metatarsus Tarsus Gesamtlänge
Taster 11,4 4,1 4,3 - 5,2 25,0
Bein I 10,6 6,2 7,0 6,2 4,8 34,8
Bein II 10,2 5,6 7,1 7,3 4,5 34,7
Bein III 9,0 5,0 6,8 7,1 4,5 32,4
Bein IV 11,4 6,2 9,6 9,0 5,2 41,4

Tabelle 2:

  Tarsus Metatarsus
Taster voll -
Bein I voll min. 3/4
Bein II voll min. 3/4
Bein III voll 1/2
Bein IV voll 1/2

Tabelle 3:

  Femur Patella Tibia Metatarsus Tarsus Gesamtlänge
Taster 8,9 5,0 7,1 - 2,7 23,7
Bein I 13,0 7,1 9,9 9,4 5,6 45,0
Bein II 11,9 7,1 9,1 9,3 4,9 42,3
Bein III 10,0 6,6 8,0 9,4 5,0 39,0
Bein IV 13,3 6,4 10,0 12,0 5,3 47,0

Tabelle 4:

  Tarsus Metatarsus
Taster Bulbus-Ansatz scopuliert -
Bein I voll min. 3/4
Bein II voll 3/4
Bein III voll mind. 2/3
Bein IV voll max. 1/2